Wenn die letzte Hoffnung an Formalien scheitert
Ein Verfahren nach dem anderen, immer neue Schriftsätze, Termine vor Gericht, Rückschläge und Enttäuschungen: So sieht der mühsame Kampf vieler Kläger aus. Am Ende steht ihnen nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe offen. Mit der Verfassungsbeschwerde verbinden sie die Hoffnung, dass ihre Argumente doch noch anerkannt und ihre Grundrechte geschützt werden.
Umso härter trifft es sie, wenn diese letzte Chance vertan wird, weil eine Frist versäumt oder eine Begründung nicht präzise genug formuliert war. Für Betroffene ist das nicht nur eine juristische Niederlage, sondern ein persönlicher Schlag. Jahre voller Anstrengung, Hoffen und Bangen enden abrupt, ohne dass das höchste Gericht den Fall an sich überhaupt prüft.
Im Folgenden wird erläutert, welche hohen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gestellt werden und aus welchen Gründen so viele Verfahren bereits an formalen Hürden scheitern. Der Beitrag zeigt typische Fehlerquellen auf und erklärt, warum sie für Laien schwer zu vermeiden sind. Wer versteht, worauf es ankommt, erkennt auch, weshalb frühzeitige und erfahrene anwaltliche Begleitung unverzichtbar ist.
Die besondere Stellung der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde ist das einzige Verfahren, mit dem jeder Bürger unmittelbar staatliches Handeln am Maßstab der Verfassung überprüfen lassen kann. Sie richtet sich ausschließlich gegen Akte der öffentlichen Gewalt, also gegen Gesetze, Verwaltungsentscheidungen und Urteile. Dabei versteht sich das Bundesverfassungsgericht nicht als weitere Instanz, die fachgerichtliche Fehler korrigiert. Es überprüft nicht noch einmal den Sachverhalt, es urteilt auch nicht über die „richtige“ Rechtsanwendung. Entscheidend ist allein, ob ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht verletzt wurde.
Die Bandbreite möglicher Rügen ist groß. Besonders im Zentrum stehen die Menschenwürde nach Art. 1 GG und die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG, die als Auffanggrundrechte nahezu jede staatliche Maßnahme betreffen können. Daneben sind auch spezifische Grundrechte häufig Gegenstand von Beschwerden, etwa
- die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG (z. B. Beschluss vom 17. April 2020, 1 BvQ 37/20),
- die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG oder
- die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG (z. B. „Cicero“-Entscheidung, Urteil vom 27. Februar 2007, 1 BvR 538/06).
Zudem spielen auch
- das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) und
- die Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
eine große Rolle, weil sie in vielen verwaltungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Streitigkeiten berührt sind.
Neben diesen Grundrechten können auch sogenannte Justizgrundrechte entscheidend sein, die Verfahrensrechte im Prozess sichern. Dazu gehören etwa das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) und das Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG). Sie garantieren, dass gerichtliche Verfahren fair ablaufen und die Macht der Justiz nicht ohne verfassungsrechtliche Schranken ausgeübt wird.
Kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass eine Beschwerde begründet ist, hat dies erhebliche Folgen. In vielen Fällen hebt es die angegriffene Entscheidung auf und verweist die Sache an das zuständige Gericht zurück. Dieses muss dann unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erneut entscheiden. Denkbar ist auch, dass ein Gesetz für nichtig erklärt oder eine Verwaltungspraxis für unvereinbar mit dem Grundgesetz festgestellt wird. Damit kann eine erfolgreiche Beschwerde nicht nur den einzelnen Betroffenen entlasten, sondern auch weitreichende Auswirkungen für die gesamte Rechtsordnung haben.
Typische Fehler bei der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Damit eine Verfassungsbeschwerde überhaupt geprüft wird, müssen zahlreiche formale und inhaltliche Voraussetzungen erfüllt sein. Diese Anforderungen betreffen ganz unterschiedliche Ebenen: Es gibt zeitliche Vorgaben wie die knappe Monatsfrist, formale Regeln wie die Schriftform und die Pflicht zur Beifügung aller Unterlagen, aber auch inhaltliche Bedingungen, etwa die genaue Begründung der behaupteten Grundrechtsverletzung. Erst wenn alle diese Voraussetzungen eingehalten sind, befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit dem eigentlichen Anliegen. Schon ein einziger Verstoß genügt, damit die Beschwerde als unzulässig verworfen wird.
So kam es dazu, dass von den jeweils um die 5.000 eingereichten Verfassungsbeschwerden in den letzten Jahren nur ein kleiner Teil überhaupt zur Entscheidung angenommen wurde. In der Regel waren es etwa zehn Prozent. Von allen eingereichten Verfahren waren am Ende lediglich etwas mehr als ein Prozent erfolgreich. Die überwältigende Mehrheit scheiterte schon an den strengen formalen Hürden.
Die hohen Anforderungen sind kein Selbstzweck. Sie dienen dazu, die Arbeit des Gerichts auf die wesentlichen Fälle zu beschränken. Das BVerfG soll sich nur mit Verfahren befassen, in denen eine substanzielle Grundrechtsfrage auf dem Spiel steht. Wer die Formalien nicht erfüllt, zeigt aus Sicht des Gerichts, dass der Fall nicht hinreichend vorbereitet ist. Für Betroffene wirkt das hart und formalistisch, doch es entspricht dem Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung und nicht als vierte Instanz im Rechtszug.
1. Missachtung der Rechtswegerschöpfung
Eine Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der gesamte Rechtsweg ausgeschöpft ist. Das bedeutet, alle fachgerichtlichen Instanzen müssen durchlaufen werden. Dazu gehören nicht nur Berufung und Revision, sondern auch außerordentliche Rechtsbehelfe.
Besondere Bedeutung hat diesbezüglich die Anhörungsrüge. Sie ist immer dann notwendig, wenn ein Gericht wesentlichen Vortrag übergangen oder das rechtliche Gehör verletzt hat. Das ist der Fall, wenn entscheidende Argumente oder Beweismittel einer Verfahrenspartei in der Entscheidung nicht berücksichtigt wurden. In solchen Fällen muss zunächst eine Anhörungsrüge erhoben werden, damit das Gericht die Möglichkeit erhält, den Fehler selbst zu korrigieren. Ohne diesen Schritt gilt der Rechtsweg als nicht erschöpft. Das führt in Karlsruhe unweigerlich zur Abweisung.
Gerade hier passieren viele Fehler. Wer nach einer Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht oder Bundesarbeitsgericht sofort Verfassungsbeschwerde erhebt, übersieht oft, dass noch eine Anhörungsrüge möglich gewesen wäre. Das ist für Betroffene schwer zu verstehen, weil der Rechtsweg auf den ersten Blick beendet scheint. Das Bundesverfassungsgericht aber verlangt, dass zunächst die Fachgerichte selbst die Gelegenheit haben, mögliche Fehler zu korrigieren.
Beispiel aus dem Beamtenrecht:
Ein Polizeibeamter wird aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt. Er kämpft sich über Jahre durch die Instanzen, verliert aber auch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Dort hatte er ein ärztliches Gutachten vorgelegt, auf das das Gericht in seiner Entscheidung überhaupt nicht eingegangen ist. Die Verfassungsbeschwerde ist seine letzte Hoffnung, doch sie wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil er zuvor keine Anhörungsrüge gegen die Nichtbeachtung des Gutachtens erhoben hatte. Für ihn bedeutet das das endgültige Ende seiner aktiven Laufbahn.
2. Nichteinhaltung des Subsidiaritätgrundsatzes
Auch wenn der Rechtsweg formal erschöpft ist, prüft Karlsruhe, ob der Beschwerdeführer alles Zumutbare unternommen hat, um eine Grundrechtsverletzung schon vorher geltend zu machen. Dies ist der sogenannte Subsidiaritätsgrundsatz.
In der Praxis bedeutet das, Grundrechte müssen bereits in den Fachgerichten ins Verfahren eingeführt werden. Wer erst in Karlsruhe behauptet, dass etwa die Berufsfreiheit oder die Eigentumsgarantie verletzt sei, hat keine Chance.
Das macht Verfahren besonders schwierig. Viele Kläger konzentrieren sich in den Instanzen ausschließlich auf klassische Rechtsfragen und übersehen die Grundrechtsdimension. Im Arbeitsrecht etwa wird häufig allein auf Kündigungsschutzvorschriften abgestellt, ohne Art. 12 GG (Berufsfreiheit) zu thematisieren. Im Verwaltungsrecht streitet man über Bauvorschriften, ohne Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) zu benennen. Das rächt sich später, wenn Karlsruhe die Beschwerde zurückweist.
Beispiel aus dem Arbeitsrecht:
Eine Arbeitnehmerin wehrt sich gegen ihre Kündigung und verliert schließlich auch vor dem Bundesarbeitsgericht. In Karlsruhe versucht sie, sich auf ihre Berufsfreiheit zu berufen. Doch sie hatte diesen Aspekt in den Vorinstanzen nie geltend gemacht. Ihre Beschwerde wird nicht angenommen. Damit endet ihr Verfahren, ohne dass das Bundesverfassungsgericht überhaupt prüft, ob ihre Grundrechte verletzt sind.
3. Fehlende Beschwerdebefugnis
Eine Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist. Diese drei Voraussetzungen klingen abstrakt, haben aber enorme praktische Bedeutung:
- „Selbst“ heißt, dass man nicht im Namen anderer klagen kann.
- „Gegenwärtig“ bedeutet, dass die Belastung aktuell besteht oder unmittelbar bevorsteht, nicht erst in ungewisser Zukunft.
- „Unmittelbar“ erfordert, dass der staatliche Eingriff direkt wirkt, ohne dass erst noch ein weiterer Verwaltungsakt ergehen müsste.
Für Betroffene ist das oft schwer einzuschätzen. Ein Gesetz kann als ungerecht empfunden werden, doch solange es den Einzelnen nicht unmittelbar betrifft, reicht das für eine Verfassungsbeschwerde nicht aus. Wer diese Unterscheidung nicht kennt, riskiert eine Abweisung.
4. Unzulässiger Beschwerdegegenstand
Nicht jede Maßnahme ist überhaupt tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde. Zulässig sind nur Akte der öffentlichen Gewalt, also Gesetze, Urteile und Verwaltungsakte.
Viele scheitern daran, dass sie auch unverbindliche Handlungen angreifen wollen, etwa behördliche Hinweise oder Merkblätter. Diese entfalten keine unmittelbare Rechtswirkung. Eine Beschwerde gegen solche Maßnahmen wird deshalb abgewiesen.
5. Nichteinhaltung der Monatsfrist
Kaum eine Voraussetzung ist so streng wie die Frist. Eine Verfassungsbeschwerde muss binnen eines Monats nach Zustellung (nicht bereits mit der Verkündung) der letztinstanzlichen Entscheidung erhoben werden. Die Frist ist unabänderlich. Schon ein einziger Tag Verspätung führt zur Abweisung.
In dieser kurzen Zeitspanne muss eine vollständige Beschwerdeschrift entstehen. Sie muss nicht nur die Verletzung eines Grundrechts darlegen, sondern auch alle erforderlichen Unterlagen enthalten. Nachreichen ist nicht möglich. Für Anwälte ist das eine enorme Herausforderung. Besonders schwierig wird es, wenn sie den Fall nicht schon vorher betreut haben. Eine Einarbeitung in komplexe Verfahren innerhalb weniger Wochen ist kaum leistbar. Deshalb ist es von Vorteil, wenn derselbe Anwalt den Mandanten bereits durch die Instanzen begleitet hat.
6. Unzureichende Begründung
Die Begründung ist das Herzstück jeder Verfassungsbeschwerde. Sie muss so präzise sein, dass das Bundesverfassungsgericht allein anhand der Beschwerdeschrift beurteilen kann, ob ein Grundrecht verletzt wurde. Das Gericht zieht keine weiteren Akten bei.
Das bedeutet, dass nicht nur allgemein Unzufriedenheit geäußert werden darf. Es muss klar benannt werden, welches Grundrecht betroffen ist, wie genau der staatliche Eingriff aussieht und weshalb dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist.
Viele scheitern daran, dass sie nur ihre Enttäuschung über das Urteil schildern, ohne eine konkrete Grundrechtsverletzung zu benennen. Andere verfallen in endlose Wiederholungen der Argumente aus den Vorinstanzen. Beides reicht nicht aus. Ohne eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Grundrechten hat eine Beschwerde keine Aussicht darauf, zur Entscheidung angenommen zu werden.
7. Fehler in der Form
Selbst die formale Hülle muss stimmen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn sie schriftlich, in deutscher Sprache und eigenhändig unterschrieben eingereicht wird. Dazu müssen alle angegriffenen Urteile und Schriftsätze beigefügt werden.
Fehlt eine Unterschrift oder eine notwendige Anlage, endet das Verfahren sofort. Das ist für viele Betroffene besonders bitter: Nach Jahren des Rechtsstreits scheitert man an einer vermeidbaren Formalie.
Wenn Karlsruhe nicht hilft: der Weg nach Straßburg
Nach einer gescheiterten Verfassungsbeschwerde kann es mittels einer Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg noch eine Möglichkeit geben, staatliches Handeln überprüfen zu lassen. Dort geht es nicht um das Grundgesetz, sondern um die Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, etwa das Recht auf ein faires Verfahren oder den Schutz des Privat- und Familienlebens.
Dieser Weg ist jedoch nur in bestimmten Fällen möglich bzw. sinnvoll. Zum einen gilt auch hier eine strenge Frist (4 Monate), zum anderen muss ein klarer Bezug zu Konventionsrechten bestehen. Wer schon in Karlsruhe keine Grundrechtsverletzung hinreichend darlegen konnte, wird höchstwahrscheinlich auch in Straßburg scheitern. Aussicht auf Erfolg haben vor allem Fälle, die bereits von der EGMR-Rechtsprechung erfasst sind, etwa zu überlangen Verfahren oder schwerwiegenden Eingriffen ins Familienleben.
Fazit
Die Verfassungsbeschwerde ist ein einzigartiges Mittel, um Grundrechte gegen den Staat durchzusetzen. Sie ist aber kein einfaches Rechtsmittel, sondern an strengste Voraussetzungen gebunden. Schon kleine Fehler führen dazu, dass ein Verfahren abgewiesen wird, ohne dass es je inhaltlich geprüft wird.
Für Betroffene ist das eine enorme Belastung. Nach langen Jahren des Rechtsstreits setzen sie ihre letzte Hoffnung auf Karlsruhe und erleben nicht selten, dass diese Hoffnung an Formalien zerbricht.
Gerade deshalb ist es entscheidend, von Beginn an erfahrene anwaltliche Unterstützung zu haben. Anwältin Kerstin Dreyer kennt die Fallstricke einer Verfassungsbeschwerde, prüft gründlich die Erfolgsaussichten und begleitet ihre Mandanten mit Erfahrung und Empathie. Sie setzt sich dafür ein, dass Grundrechte nicht an Formalien scheitern, sondern eine echte Chance auf Schutz erhalten.
Wenn Sie überlegen, den Schritt nach Karlsruhe zu gehen, nehmen Sie frühzeitig Kontakt auf.