Zwischen Pflichtgefühl und Freiheit
Stellen Sie sich vor, die Schulzeit ist gerade beendet, das Studium oder die Ausbildung beginnt, und plötzlich liegt Post vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr im Briefkasten. Ein Fragebogen zur „Wehrerfassung“ fordert dazu auf, Angaben zu Motivation, Qualifikationen und gesundheitlicher Verfassung zu machen. Junge Männer müssen den Bogen beantworten, anderenfalls droht ein Bußgeld; junge Frauen können freiwillig teilnehmen.
Ging es in dieser Lebensphase für junge Erwachsene bisher um weitgehend selbstbestimmte Entscheidungen für die nahe Zukunft, fordert dieses Schreiben dazu auf, zuerst zu reagieren und sich anschließend mit weitergehenden Fragen zu befassen: Welche Folgen hat das für die weitere Planung? Wie lange dauert der Dienst? Und welche Optionen gibt es, wenn man den Dienst ablehnen möchte?
Als Anwältin mit Erfahrung in verwaltungs‑ und verfassungsrechtlichen Fragen möchte ich jungen Erwachsenen und ihren Familien helfen, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen. Der Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, erklärt den Ablauf der Wehrerfassung und Musterung, zeigt Optionen für den freiwilligen Dienst sowie Möglichkeiten der Dienstverweigerung auf und gibt Hinweise, wann rechtliche Beratung sinnvoll ist. Mir ist es wichtig, objektiv zu beraten. Für mich gelten der Wehrdienst und der friedliche Ersatzdienst als gleichwertig legitime Wahl.
Aktuelle Rechtslage: Wehrpflicht ausgesetzt, aber nicht abgeschafft
Seit 2011 wird die Wehrpflicht in Friedenszeiten nicht mehr vollzogen. Juristisch ist sie jedoch nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Artikel 12a des Grundgesetzes gibt dem Gesetzgeber nach wie vor die Befugnis, männliche Deutsche ab 18 Jahren zum Wehrdienst heranzuziehen. Kriegsdienstverweigerer können einen Ersatzdienst leisten. Das Wehrpflichtgesetz tritt automatisch wieder in Kraft, wenn der Bundestag einen Spannungs‑ oder Verteidigungsfall feststellt. Eine Verfassungsänderung wäre dafür nicht erforderlich. Zudem könnte der Bundestag jederzeit mit einfachem Gesetz die Dienstpflicht reaktivieren.
Das Wehrdienst‑Modernisierungsgesetz: Was kommt ab 2026?
Ziel: Reserve stärken und Freiwillige gewinnen
Die Bundesregierung reagiert mit dem Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes (WDModG) auf die sich verschärfende sicherheitspolitische Lage. In der Gesetzesbegründung heißt es, Deutschland müsse angesichts der Bedrohung durch Russland seine Verteidigungsfähigkeit stärken und daher deutlich mehr aktive Soldatinnen und Soldaten sowie eine einsatzbereite Reserve bereitstellen. Der neue Wehrdienst soll einerseits mehr Freiwillige gewinnen und andererseits die Strukturen der Wehrerfassung reaktivieren. Drei Ziele stehen im Mittelpunkt:
- ein umfassendes Lagebild über die tauglichen Geburtsjahrgänge,
- mehr Freiwillige und Reservisten und
- die Möglichkeit, bei Bedarf eine Dienstpflicht außerhalb des Spannungs‑ oder Verteidigungsfalls einzuführen.
Wehrerfassung – verpflichtender Fragebogen für Männer
Ab 1. Januar 2026 wird die Wehrerfassung wieder eingeführt. Alle 18‑jährigen Männer und Frauen erhalten einen Fragebogen, der Motivation und Eignung für den Dienst abfragt. Für Männer ist die Beantwortung verpflichtend, für Frauen freiwillig. Auch Transpersonen, deren Geschlechtseintrag männlich ist, müssen den Bogen ausfüllen. Wer den Fragebogen nicht zurücksendet, muss mit einer Geldbuße rechnen, ein Aspekt, der häufig übersehen wird.
Musterung ab 2027: Pflicht für Männer
Auf Grundlage der Fragebogen‑Daten lädt die Bundeswehr junge Menschen zur Musterung ein. Ab dem 1. Juli 2027 sollen alle Männer ab Jahrgang 2008 verpflichtend gemustert werden. Die Musterung soll an neu geschaffenen Karriere‑ und Musterungszentren stattfinden. Innerhalb eines Tages werden körperliche, psychische und intellektuelle Eignung sowie die Neigungen der jeweiligen Person festgestellt. Das Ergebnis wird in einem Abschlussgespräch mitgeteilt. Erst danach entscheiden sich die nächsten Schritte.
Frauen können sich freiwillig mustern lassen. Abhängig von den Kapazitäten der Zentren kann es hierbei jedoch zu Wartezeiten kommen.
Zunächst ist geplant, in den ersten Jahren jährlich etwa 15.000 bis 20.000 Dienstleistende zu gewinnen und die Kapazitäten später auszuweiten.
Dauer, Vergütung und Anreize
Der neue Wehrdienst dauert mindestens sechs Monate. Wer länger als zwölf Monate bleibt, wechselt in den Status „Soldatin/Soldat auf Zeit“. Das Verteidigungsministerium bewirbt den Dienst mit einer Reihe an Anreizen, etwa
- einer monatlichen Vergütung von mindestens 2.600 Euro brutto,
- moderner Ausbildung,
- einem Zuschuss zum Pkw‑ oder Lkw‑Führerschein,
- möglichst wohnortnaher Verwendung,
- der Möglichkeit Sprachkurse wahrzunehmen und
- weitere Qualifikationen zu erwerben.
Die Regierung will den Dienst attraktiver machen, damit er freiwillig gewählt wird und nicht als notwendiges Übel erscheint.
Bedarfswehrpflicht als „Ultima Ratio“
Der Gesetzesentwurf sieht ausdrücklich keine automatische Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht vor. Sollte sich jedoch zeigen, dass der Personalbedarf der Bundeswehr trotz Anreizen nicht gedeckt wird oder sich die Sicherheitslage verschärft, kann der Bundestag per Gesetz eine Bedarfswehrpflicht einführen. In diesem Fall könnten einzelne Jahrgänge per Losverfahren ausgewählt werden. Diese Möglichkeit soll bewusst erst dann greifen, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Erst wenn der freiwillige Dienst nicht ausreicht, soll auf Verpflichtung zurückgegriffen werden.

Was bedeutet das für junge Männer und Frauen?
Verpflichtender Fragebogen und Bußgelder
Junge Männer des Geburtsjahrgangs 2008 erhalten ab 2026 einen Fragebogen zur Wehrerfassung und müssen ihn ausfüllen. Wer nicht reagiert, riskiert ein Bußgeld. Die Erfassung dient dazu, eine Vorauswahl für die Musterungen zu treffen. Das Ausfüllen und Zurückschicken des Fragebogens verpflichtet zunächst nicht zum Wehrdienst, sondern dient lediglich dazu, eine erste Übersicht über Bereitschaft und Eignung der angeschriebenen jungen Männer zu erhalten.
Musterung und Eignungsfeststellung
Die Musterung ist ab 2027 für Männer verpflichtend und prüft ihre körperliche und psychische Tauglichkeit. Sie dauert einen Tag und endet mit einem Ergebnis und einem Beratungsgespräch. Frauen können sich freiwillig mustern lassen. Aus medizinischer Sicht können gesundheitliche Einschränkungen zur Tauglichkeitsminderung führen. In der Praxis führen aber nur erhebliche gesundheitliche Gründe dazu, dass Sie als „untauglich“ eingestuft werden. Bagatellbeschwerden reichen hier nicht. Wer unsicher ist, ob eine Erkrankung der Tauglichkeit entgegensteht, sollte dies medizinisch dokumentieren und gegebenenfalls rechtlich prüfen lassen.
Anwältin kontaktierenMusterung bedeutet noch keine Pflicht zur Dienstleistung
Nach der Musterung bleibt die Entscheidung für den Dienst zunächst freiwillig. Die Regierung plant langfristig, künftig bis zu 100.000 Freiwillige pro Jahr zu erreichen. Diese Zahl beschreibt eine strategische Vision, kein kurzfristiges oder gesetzlich festgelegtes Ziel. Erst wenn die Bedarfswehrpflicht aktiviert wird, können Sie gegen Ihren Willen herangezogen werden. Dies erfordert jedoch ein weiteres Gesetz. Bis dahin können Sie sich entscheiden, ob Sie den Dienst ableisten oder eine der im Folgenden beschriebenen Alternativen wählen.
Freiwilliger Wehrdienst: eine Möglichkeit mit Chancen
Viele junge Menschen empfinden den Dienst bei der Bundeswehr als Belastung. Andere sehen darin eine Chance, sich weiterzuentwickeln. Gründe, die für den Wehrdienst sprechen, gibt es viele, darunter z. B.:
- Beitrag zur Sicherheit: Die Bundesregierung betont, dass eine starke, personell gut ausgestattete Armee das effektivste Mittel sei, um Kriege zu verhindern. Wer sich freiwillig für den Wehrdienst entscheidet, leistet einen Beitrag zur Sicherheit des Landes.
- Gesellschaftlicher Beitrag: Die Bundeswehr unterstützt regelmäßig bei Hochwasser, Stürmen, Evakuierungen und anderen Notlagen. Freiwillige helfen auch in zivilen Krisensituationen, in denen schnelle und verlässliche Unterstützung gebraucht wird.
- Berufliche Qualifikation: Neben mehreren Qualifikationsmöglichkeiten, können Wehrdienstleistende auch Führungserfahrung sammeln, Teamarbeit lernen und Fähigkeiten erwerben, die auch außerhalb des Militärs gefragt sind.
- Finanzielle Sicherheit: Mit mindestens 2.600 Euro brutto monatlich liegt die Vergütung deutlich über dem Niveau vieler Ausbildungen und Freiwilligendienste.
- Vernetztes soziales Umfeld: Der Wehrdienst stärkt soziale Kontakte und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Der freiwillige Dienst kann übrigens jederzeit verlängert werden. Nach zwölf Monaten gilt man dann als Soldatin/Soldat auf Zeit und kann sich weiter verpflichten, ggf. bis zu 25 Jahre.
Der Dienst bringt allerdings auch Herausforderungen, körperliche und psychische Belastungen mit sich. Manchen dürfte auch die militärische Hierarchie und eventuelle Standortwechsel zu schaffen machen.
Kriegsdienstverweigerung und Ersatzdienste
Nicht alle wollen oder können Militärdienst leisten. Das Grundgesetz schützt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung:
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ (Artikel 4 Absatz 3 GG).
Dieses Grundrecht gilt für Reservisten, Berufssoldaten und Ungediente gleichermaßen. Wer verweigern möchte, muss einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung beim zuständigen Karrierecenter stellen. Dem Antrag sind ein tabellarischer Lebenslauf und eine ausführliche Begründung der Gewissensentscheidung beizufügen. Die Musterung findet allerdings trotzdem statt. Erst danach wird der Antrag an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) weitergeleitet.
Zivil‑ und Bundesfreiwilligendienst
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht wurde der klassische Zivildienst abgeschafft. An seine Stelle trat der Bundesfreiwilligendienst (BFD). Er ermöglicht Einsätze zwischen sechs und 18 Monaten in Bereichen wie Soziales, Umwelt, Kultur, Sport, Integration oder Katastrophenschutz. Im Zuge der Wehrdienstreform sollen dafür 15.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Wer Kriegsdienst verweigert, kann sich auf diese Weise gesellschaftlich engagieren. Für viele Menschen bietet der BFD eine sinnvolle Alternative zum Wehrdienst. Auch er vermittelt Kompetenzen, Teamfähigkeit und fällt bei späteren Bewerbungen oft positiv ins Gewicht.
Weitere Gründe für eine Freistellung
Neben der Kriegsdienstverweigerung gibt es weitere Gründe, die einer Heranziehung entgegenstehen können. Dazu gehören insbesondere:
- Gesundheitliche Untauglichkeit: Ernste körperliche oder psychische Erkrankungen können zur Ausmusterung führen. Die Tauglichkeit wird durch ärztliche Untersuchung festgestellt.
- Familienpflichten und Härtefälle: Wer nahe Angehörige pflegt oder alleinerziehend ist, kann einen Härtefall geltend machen. Konkrete Regelungen dazu werden mit dem neuen Gesetz erwartet.
- Berufliche Verpflichtungen: In Einzelfällen können berufliche Tätigkeiten im öffentlichen Interesse (z. B. im Gesundheitswesen) anerkannt werden. Hier ist die Rechtslage noch nicht final geregelt.
Falls Sie einen dieser Gründe anführen möchten, sollten Sie dies frühzeitig schriftlich dokumentieren und eine rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Die Behörden entscheiden im Einzelfall und eine gute Vorbereitung kann hier über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Wann ist anwaltliche Beratung sinnvoll?
Unsicherheit über die Tauglichkeit oder Härtefall‑Gründe
Wenn Sie gesundheitliche Einschränkungen oder familiäre Verpflichtungen haben, kläre ich, ob diese zu einer Freistellung führen können und welche Nachweise erforderlich sind.
Erstellung des Verweigerungsantrags
Die persönliche Begründung muss authentisch und umfassend sein. Eine anwaltliche Beratung hilft, formale Anforderungen zu erfüllen und typische Fehler zu vermeiden.
Fragen zur Musterung oder zur Bedarfswehrpflicht
Ich erkläre Ihnen, welche Fristen gelten, welche Rechte Sie während der Musterung haben und was im Falle einer Losentscheidung zu beachten ist.
Vertragsfragen beim freiwilligen Dienst
Wer sich für den Wehrdienst entscheidet, schließt einen Verpflichtungsvertrag. Ich prüfe die Bedingungen (z. B. Einsatzdauer, Vergütung, Rücktrittsmöglichkeiten) und begleite Sie bei Verhandlungen.
Fazit: Informierte Entscheidung statt Panik
Der Neue Wehrdienst wird ab 2026 Realität. Er basiert auf Freiwilligkeit, enthält jedoch verpflichtende Elemente wie die Wehrerfassung und die Musterung. Eine allgemeine Wehrpflicht ist nicht automatisch vorgesehen, kann aber in einem Bedarfsfall beschlossen werden. Junge Männer und Frauen müssen sich daher mit der Thematik auseinandersetzen.
Meine Empfehlung als Anwältin lautet: Informieren Sie sich frühzeitig. Der Dienst bei der Bundeswehr kann eine wertvolle Erfahrung sein und bietet finanzielle sowie berufliche Chancen. Wer aus Gewissensgründen, gesundheitlichen Gründen oder wegen familiärer Pflichten nicht dienen möchte, hat rechtliche Möglichkeiten. Beide Wege sind legitim! Wichtig ist, dass Sie selbstbestimmt entscheiden und Ihre Rechte kennen.
Gern stehe ich Ihnen zur Seite, wenn Sie Fragen haben oder individuelle Unterstützung benötigen.
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